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Blau-gelbe Erfolge unterm Hakenkreuz - die Jahre 1938 bis 1945

16. September 2014 | Historisches zur Übersicht >

Es ist ein Paradoxon, dass der First Vienna Football Club 1894 seine erfolgreichste Vereinsperiode gerade dann erlebte, als Österreich zu existieren aufgehört hatte. Speziell zu Beginn der 1940er Jahre eilten die Döblinger von Erfolg zu Erfolg. So konnte die Vienna ab 1941/1942 dreimal hintereinander die „Gauklasse“ – die regionale Spielklasse auf dem Gebiet des ehemaligen Österreich – gewinnen. 1943 zogen die Blau-Gelben ins Finale um die Deutsche Meisterschaft ein und gewannen im selben Jahr den Deutschen Pokal.

Diese Erfolgsgeschichte ist erstaunlich, da die Vienna als großbürgerlicher anglophiler Verein galt, dessen Gründung der jüdische Gönner Nathaniel Meyer Freiherr von Rothschild finanziell ermöglicht hatte und in dessen Entwicklung jüdische Aktive und Funktionäre eine entscheidende Rolle spielten. In den 1920er Jahren wirbelten der Internationale Otto „Schloime“ Fischer sowie die beiden Konrád Brüder Jenö und Kálmán auf der Hohen Warte. Unter den Funktionären nahmen Gründungspräsident „Geo“ Fuchs, Vorstandsmitglied Dr. Ignaz Abeles, Univ. Prof. Dr. Martin Haudeck sowie der Konvertit Hans Martin Mautner eine wichtige Rolle in der Entfaltung der Vereinsaktivitäten ein.

Der „Anschluss“ an Nazideutschland schien die beschauliche Sportwelt in Wien Döbling vorerst nicht zu tangieren. Die Vertreibung jüdischer Aktiver und Funktionäre aus dem Sportbetrieb verlief reibungslos. Nicht ohne Stolz vermeldete die Leichtathletiksektion der Vienna am 24. 3. 1938 im Wiener Sport-Tagblatt: „Die durch den Zusammenschluss Österreichs mit dem deutschen Reich bedingte Neuordnung im Sport hat bei der Leichtathletiksektion der Vienna keinerlei Veränderungen ergeben. Die Leitung ist seit jeher arisch, die Zahl der ausgeschiedenen Juden ist im Vergleich zur Mitgliederzahl eine verschwindend kleine.“ Selbst als unmittelbar nach der nationalsozialistischen Machtergreifung politisch unliebsame Vereine aufgelöst wurden bzw. verschiedene Klubs ihre englischen oder tschechischen Vereinsnamen ändern mussten, hatte dies noch keine Auswirkungen auf die Vienna. Vizepräsident Otto Pöschl übernahm die im nationalsozialistischen Vereinswesen neugeschaffene Position des „Vereinsführers“ und die Döblinger fügten sich klaglos den neuen Bedingungen. Im Oktober 1939 sollte Bezirkshauptmann Dr. Rudolf Höllerl Otto Pöschl als Vereinsführer folgen. Erst 1940, nach politischem Druck, änderte der Vorstand den Vereinsnamen auf Fußballklub Vienna 1894. Als Ersatz für die, durch die Nazis stark eingeschränkten, lukrativen Auslandsgastspiele, wurde der Spielverkehr mit dem „Altreich“ intensiviert. Auf einer dieser Reisen debütierte im August 1939 Karl Decker, einer der zukünftigen Schlüsselspieler. Der junge Rechtsverbinder sollte sich zum blau-gelben Torgaranten entwickeln und erzielte bis 1952 in 609 Spielen 605 Tore. Um Decker, Willibald Schmaus – WM Teilnehmer 1938 – und den ehemaligen Wunderteamspieler Friedrich „Fritz“ Gschweidl, der im Laufe der NS- Zeit die sportliche Leitung der Vienna übernahm, wurde eine spielstarke Mannschaft aus arrivierten Kräften und vielversprechenden Talenten geformt.

Blickt man auf die kriegsbedingten Veränderungen des Fußballsports in Nazideutschland, so profitierte davon keine andere Wiener Mannschaft so stark wie die Vienna. Bedingt durch die Kriegshandlungen waren die Wechselbedingungen im Deutschen Reich gelockert worden. Neben ihren Heimatvereinen war es nun für Soldaten möglich, auch am Ort ihrer Stationierung fußballerisch aktiv zu sein. In größeren Garnisonsstädten wie Wien fanden sich somit vermehrt potentielle Gastspieler ein. Vereine, die durch Einberufungen in personelle Nöte kamen, konnten so ihren Kader mit Gastspielern auffüllen. Die folgenden Jahre sollten zeigen, dass die Vienna es am besten von allen Vereinen verstand, kriegsbedingte Personalengpässe zu kompensieren.

Treibende Kraft beim blau-gelben Höhenflug war dabei Klubmitglied Curt Reinisch, der in unterschiedlichen Funktionen bis in die 1980er Jahre für „seine“ Vienna arbeitete. Seine Tätigkeit während des Krieges war für den Aufstieg der Vienna entscheidend. In seiner Funktion als Sachbearbeiter in der Sanitätsabteilung Wien war er für Personalangelegenheiten in sämtlichen Wiener Lazaretten zuständig. Er verfügte über die Möglichkeit, Soldaten in Wiener Lazarette „abzustellen“, und konnte so Personen vor Fronteinsätzen bewahren oder solche wenigstens aufschieben bzw. günstige Versetzungen vornehmen. Mit Hilfe von wohlgesinnten Ärzten erwirkte er die Einweisung von auch weniger ernsthaft „erkrankten“ bzw. temporär untauglichen Soldaten in die Lazarette. Zudem wurden Soldaten auch durch fingierte Befunde bei der Abrüstung unterstützt. Die Gruppe um Reinisch vernichtete bzw. „frisierte“ Personalakten mit dem Ziel, die tatsächliche Anzahl der in den Lazaretten befindlichen Soldaten zu verschleiern. Reinisch nutzte diese Möglichkeiten auch, um Spieler der Vienna – selbst nach deren Einberufung – noch über längere Zeiträume in Wien zu halten.

Um sich abzusichern, half er aber auch anderen Wiener Vereinen auf diese Art und Weise. So gelang es, blau-gelbe Schlüsselspieler wie Karl Decker (mit kleineren Einschränkungen) fast die gesamte Dauer des Krieges in Wien zu halten. Zwar geben Briefe von Friedrich Gschweidl an den deutschen Gastspieler Erwin Luchs Auskunft darüber, dass mit Fortdauer des Krieges auch die Vienna mit Personalsorgen zu kämpfen hatte, diese erreichten aber nicht das gleiche Ausmaß wie die der Wiener Konkurrenz. Reinisch verhalf der Vienna weiters sowohl zu Gastspielern aus dem „Altreich“ als auch aus den Donau-Alpenreichsgauen.

Um den Aufstieg der Vienna zu einer der Spitzenmannschaften in Nazideutschland zu verdeutlichen, können exemplarisch zwei Wochen im Oktober 1943 herausgegriffen werden. Am 17. Oktober nahmen die Döblinger Revanche an Schalke 04 für die Finalniederlage um die Deutsche Meisterschaft 1942 und entzauberten die Gelsenkirchener im Semifinale des Pokals mit 6:2. Zwei Wochen später im Finale bezwang die Vienna den LSV Hamburg nach Verlängerung. Sieben Tage davor hatten die Blau-Gelben auf Gauebene Rapid mit 10:2 deklassiert, wobei Karl Decker sechs Tore erzielte. Im Kampf um die Deutsche Meisterschaft 1943 erreichten die Döblinger das Semifinale, im folgenden Jahr das Viertelfinale.

Die Aktivitäten von Reinisch blieben aber nicht unentdeckt. Durch eine anonyme Anzeige denunziert, wurde er wegen des Verdachts der „Wehrkraftzersetzung, Sabotage und Beihilfe zur Selbstverstümmelung“ von der Gestapo verhaftet. Von Februar bis September 1944 verblieb er in Untersuchungshaft. Erst danach erfolgte seine Entlassung. Die genauen Beweggründe, warum gegen Reinisch keine Anklage erhoben wurde und weshalb er trotz dieser schweren Vorwürfe entlassen wurde, sind unklar.

Obwohl sich in Folge der Kriegsentwicklung der Spielbetrieb immer schwieriger gestaltete, veranstaltete die Vienna noch in den Osterfeiertagen 1944 zur 50-Jahr-Feier ein Jubiläumsturnier mit dem amtierenden deutschen Meister, dem Dresdner SC. Dieses Großereignis blieb aber singulär, denn in der weiteren Folge war an einen geregelten Fußballbetrieb nicht mehr zu denken. Auf Reichsebene erfolgte die Einstellung des Spielbetriebs im August 1944. Auf Gauebene wurde der Spielbetrieb im Frühjahr 1945 eingestellt. Im Mai 1945, unmittelbar nach Kriegsende, begann die Vienna den provisorischen Spielbetrieb wieder aufzunehmen. In der Folge sollte sich zeigen, dass die Vienna an ihre während der Kriegsjahre gezeigte Dominanz nicht anschließen konnte. Erst in der Spielzeit 1954/1955 errang die Vienna wieder ihre bis dato letzte Meisterschaft.

Die Erfolge der Vienna in nationalsozialistischer Zeit waren der besonderen Situation des Wiener Fußballsports geschuldet, der durch das Eingreifen der Nationalsozialisten und in weiterer Folge durch die Kriegssituation maßgeblich verändert war. Dabei gingen Unterstützungsmaßnahmen von Privatpersonen und nicht von politischen Entscheidungsträgern aus. In der fortschreitenden Kriegssituation, die aus unterschiedlichen Gründen (Einberufungen, Reiseschwierigkeiten etc.) einen geregelten Meisterschaftsbetrieb erschwerte, waren jene Mannschaften erfolgreich, die über bessere Personalreserven verfügten. Die fußballstrategischen Maßnahmen von Reinisch schufen dazu die temporäre Grundlage, aus der Vienna eine der Spitzenmannschaften des Deutschen Reichs zu machen. Als sich nach Kriegsende die Lage wieder stabilisierte und eine gewisse Normalität einkehrte, war die kurzfristige Vorherrschaft der Döblinger schnell wieder beendet.