Interview mit Weltmeister Mario Kempes: „Der Fußball muss sich jetzt gedulden!“
Viele Vienna-Fans wollten wissen, wie es Mario Kempes geht. Wir haben unseren argentinischen Weltmeister in seiner Wahlheimat Amerika erreicht. Es geht ihm den Umständen entsprechend gut. Mario macht sich keine Sorgen um den Fußball. „Der wird nicht sterben. Wir aber, wenn wir gleich wieder ins Stadion gehen und Fußball spielen. Wir müssen besonnen sein, um die Partie gegen Corona zu gewinnen.“
Mario Kempes, Weltmeister mit Argentinien 1978, feierte letzten Sommer, anlässlich des 125-Jahres Jubiläums der Vienna, sein Comeback auf der Hohen Warte. Am 22. August 2019 stiess der 65-Jährige ehemalige Weltklassestürmer und Torschützenkönig der WM 1978 mit zahlreichen anderen blaugelben Legenden auf seinen ehemaligen Verein an.
Kempes wechselte im Februar 1986 zur Vienna. Dieser Sensationstransfer stellte alles Bisherige in den Schatten. Kempes Wechsel von Valencia nach Wien Döbling gilt bis heute als der größte Transfer, der in der österreichischen Fußballgeschichte jemals abgewickelt worden ist. Zum damaligen Zeitpunkt war die Verpflichtung von Kempes eine Sensation, in etwa so, als würde Lionel Messi heute vom FC Barcelona zur Vienna wechseln. „Das ist ungefähr so, als wäre der Papst ab Frühjahr Pfarrer von Grinzing“, kommentierte die Kronenzeitung den Wechsel anno dazumal.
Der 43fache Teamspieler erzielte in den eineinhalb Saisonen elf Tore für Blaugelb.
El Matador, der Vollstrecker, wie Mario Kempes genannt wird, nahm an drei Weltmeisterschaften teil (1974, 1978, 1982). 1978 schoss er Argentinien quasi im Alleingang zum Weltmeistertitel. Im Finale gegen Ernst Happels Holländer erzielte er zwei Tore – das erste in der 38. Minute und das zweite, den entscheidenden Treffer zum 2:1, nach einem Sololauf in der Verlängerung (105. Minute). Argentinien war nach dem 3:1 gegen die Niederlande zum ersten Mal Weltmeister. Kempes wurde mit sechs Toren Torschützenkönig und darüber hinaus zum besten Spieler des WM-Turniers gewählt.
Hier finden Sie den Link zum Video und das Interview auf Deutsch:
Vienna: Hola campeón, wie geht’s? Wir haben sehr viele Fans, die wissen wollten, wie es dir und deiner Familie in dieser außergewöhnlich schwierigen Situation geht. Wir folgen dir klarerweise auf deinen sozialen Medien. Aber wir hatten sehr viele Vienna Fans, die dich auch sehen wollten. Deswegen: Danke für deine Zeit für dieses Interview und einen ganz lieben blau-gelben Gruß von allen Fans und Freunden des First Vienna Football Club 1894! Also fangen wir an, wie geht’s dir und wie ist die Situation derzeit bei dir zu Hause in Amerika?
Kempes: Hallo liebe Vienna Fans. Es freut mich sehr, dass ich mit euch wieder einmal kommunizieren kann. Wie es mir geht? In Wahrheit geht es mir wie allen. Ich bin ein bisserl besorgt. Das ist ein ziemlich, ziemlich kompliziertes Virus. Bis jetzt hat man noch keinen Impfstoff gegen COVID-19 gefunden. Das einzige, was wir jetzt machen und beitragen können, ist: zu Hause bleiben! Das ist das Beste, was mir machen können.
Vienna: Deine Tochter wohnt in Wien. Wir nehmen an, dass du mit ihr in Kontakt bist? Hat sie dir erzählt, wie die Menschen in Wien mit dieser Ausnahmesituation umgehen?
Kempes: Ich glaube, dass die Situation, nicht nur in Wien, sondern auf der ganzen Welt jetzt sehr ähnlich sein muss. Das Wichtigste ist einfach, dass man mit seiner Familie zu Hause bleibt. Es gibt vielleicht einige Länder, die etwas mehr Freiheit haben, wenn es um ihre normale Arbeit geht. Aber diejenigen, die wissen, dass dieses Virus tödlich ist, bleiben zu Hause und gehen nicht in die Arbeit. Ist das ein Problem? Ja natürlich. Das ist sehr problematisch. Es gibt viele Menschen, die täglich Geld verdienen müssen, damit ihre Kinder etwas zu essen haben. Und dennoch: Das Leben ist viel Wert. Die Wahrheit ist: Geld hilft dir. Aber das Leben kannst du dir nicht kaufen. Und wenn du das Leben verlierst, verlierst du auch deine Familie. Es mag viele Meinungen geben. Aber wir müssen jetzt denen zuhören, die es wissen. Wir müssen zu Hause bleiben.
Vienna: Corona ist eine Tragödie. Für alle. Auch für den Sport, den wir alle so lieben. Corona hat schwerwiegende Konsequenzen für den Fußball auf der ganzen Welt. Was glaubst du? Sind Geisterspiele eine Lösung? Oder muss man jetzt tatsächlich die Meisterschaften abbrechen?
Kempes: Ich glaube, dass es für den Fußball erst eine vernünftige Lösung geben wird, wenn das Virus verschwindet. Und damit es verschwindet, darf man jetzt nicht Fußball spielen. Die Stadien müssen geschlossen bleiben. Egal, wie intensiv man die Spieler auch vor Anpfiff testet. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man das kontrollieren kann. Vielleicht ist ein Spieler angesteckt und er weiß es nur noch nicht. Den Fußball wird es immer geben. Der Fußball wird nicht sterben. Diejenigen die sterben sind wir, wenn wir ins Stadion gehen und Fußball spielen. Es heißt zwar, dass bei Spielen 120 Personen das Stadion betreten dürfen. Aber wenn nur eine Person infiziert ist, infiziert diese Person 120 Personen. Und diese 120 Personen haben möglicherweise Familie. Und diese Familien sind wiederum in Kontakt mit anderen. Und, und, und. Die Infektion ist unberechenbar. Deswegen glaube ich, dass der Fußball jetzt warten muss. Es besteht kein Grund zu verzweifeln. Wie gesagt: der Fußball wird nicht verschwinden, er wird nicht sterben. Auch die Stadien nicht. Die Vereine werden die Folgen des Corona-Virus stark spüren. Die Weltwirtschaft wird Corona spüren. Aber was sollen wir machen - wir haben nur dieses eine Leben.
Vienna: Dem ist so. Welchen Beitrag kann der Fußball jetzt für die Menschen leisten? Und lass uns über deine Stiftung sprechen. Du hast soeben erst die Mario Kempes Sport Foundation gestartet. Worum geht es dabei?
Kempes: Ich möchte niemanden Ratschläge erteilen. Ich denke nur ein wenig nach und sage: Hoffnungslosigkeit kann schrecklich sein. Ich fürchte nur, dass, wenn wir jetzt die Stadien wieder öffnen und Fußball spielen wollen, dann werden wir die Partie gegen das Corona-Virus nicht gewinnen. Zur Mario Kempes Foundation: Das ist eine nicht gewinnorientierte Stiftung, die in erster Linie gegründet wurde, um jungen Menschen zu helfen, die Ziele haben, diese aber nicht erreichen können. Wir wollen diese Menschen in irgendeiner Form unterstützen. Mit unterschiedlichsten Sachen. Mit Ausbruch des Corona-Virus haben wir unsere Aktivitäten erweitert. Dabei geht es in erster Linie um den Verkauf meiner Autobiografie „Matador“. Das Buch gibt es auf Spanisch und auf Englisch. Es gibt auch Kempes-T-Shirts. Die wurden aber bereits alle verkauft. Hundert Prozent der Erlöse des Buches kommen einem Krankenhaus in Florida zugute. Wir kaufen Masken und Handschuhe. Wir besorgen lebenswichtige Dinge für unsere Ärzte, die so großartige Arbeit leisten und uns helfen. Man kann auch einfach auf meine Website www.marioakempes.com gehen und einen schwarzen Button anclicken. Damit kannst du auch einen Beitrag leisten, ohne etwas zu kaufen, und spenden, was du möchtest.
Vienna: Das Mario Kempes Leiberl haben wir natürlich schon. Aber sag: Wie verbringst du die Tage derzeit? Was machst du den ganzen Tag zu Hause? Machst du Übungen? Trainierst du ein wenig?
Kempes: Hier haben sie uns erlaubt, spazieren zu gehen und Sport zu treiben. Wir gehen jeden Morgen raus. Ich gehe raus und mache zwei Stunden am Tag Bewegung. Und dann komme ich nach Hause und bleibe zu Hause. Ich fange an, Dinge zu machen, die ich vielleicht noch nie gemacht habe. Ich repariere das Haus, den Grill, pflanze Blumen, was immer ich machen kann. Wenn ich eine Weile nicht fernschaue, spreche ich mit meiner Familie, lese ein Buch. Es gibt immer viele Dinge zu tun. Und wenn du verheiratest bin, dann überhaupt.
Vienna: Stimmt es, dass die Turnsäle im Mario Kempes Stadion in Cordoba, in deinem Stadion, als Krankenzimmer genutzt werden? Wir haben das gelesen.
Kempes: Das Stadion trägt nur meinen Namen. Aber ich bin wirklich stolz, dass das Stadion jetzt in dieser Ausnahmesituation für diesen guten Zweck genützt wird. Es kann damit all jenen geholfen werden, die sich von Corona erholen, denen es noch schlecht geht, aber nicht so schlecht, dass sie Sauerstoff brauchen, spezielle Betten oder andere Sachen. Die können sie jetzt ins Stadion bringen. Das Stadion muss in einem sehr guten Zustand sein, wenn sie es dafür geöffnet haben.
Vienna: Wir haben schon gesagt, dass die Gesundheit das Wichtigste ist. Gibt es irgendetwas, was du deiner ehemaligen Mannschaft und all deinen Fans in Österreich sagen möchtest? Für uns war das unglaublich, dass du letzten Sommer zur 125 Jahres-Feier der Vienna nach Österreich gekommen bist.
Kempes: Wir müssen jetzt Ruhe bewahren. Das ist das einzige, was ich mir wünsche. Wir müssen besonnen sein, um die Partie gegen das Virus zu gewinnen. Wenn wir es einfach irgendwie versuchen, werden wir das Virus nicht täuschen, nicht besiegen. Das Wichtigste ist also, zu Hause zu bleiben. Klar ist das problematisch. Die Wirtschaft bricht zusammen, aber irgendwie werden sich neue Möglichkeiten ergeben. Der Fußball wird weiterhin existieren. Das Beste ist, zu Hause zu bleiben.
Vienna: Das werden wir machen. Wir bleiben zu Hause. Hoffen wir das Beste. Danke für deine Zeit. Danke für deine Verfügbarkeit. Wir würden uns wünschen, dich bald wieder in Wien zu sehen. Das wäre unglaublich. Pass gut auf dich auf. Und auf bald!
Kempes: Eine große Umarmung! Passen wir alle gut auf uns auf. Und vielleicht sehen wir uns bald in Wien. Vielleicht, um die Vienna in der ersten Division zu sehen.
Für Rückfragen:
First Vienna FC 1894
Christof Kopf
+43 660 9966600
kopf@1894.at