Historischer Rekordbesuch auf der Hohen Warte
Heute vor 98 Jahren schrieb die kultige Heimstätte der Vienna Geschichte: Zum Länderspiel gegen Italien kamen mehr als 85.000 Zuschauer*innen ins Stadion. Unvorstellbar aus heutiger Sicht!
Am 15. April 1923 traf Österreichs Nationalteam auf Italien. Das erste Länderspiel nach dem Ersten Weltkrieg hatte im Jänner 1922 in Mailand 3:3-Unentschieden geendet. Zum Rückspiel ein Jahr später kamen mehr als 85.000 Zuschauer auf die Hohe Warte. Das ist das fast Zwanzigfache von der aktuell zugelassenen Besuchermenge von 4.568 Personen. Und gilt bis heute als historischer Zuschauerrekord.
Der hochbrisante Länderkampf überschattete alle politischen und wirtschaftlichen Ereignisse der damaligen Zeit. In den Nachkriegsjahren war die wirtschaftliche Lage schlecht. Geld wurde immer weniger wert. Viele Menschen waren arbeitslos und hungerten.
Wenige Jahre zuvor hatten sich Österreich und Italien im Ersten Weltkrieg als Gegner gegenüber gestanden. Der Besuch auf der Hohen Warte war das erste Antreten des ehemaligen Kriegsgegners. Die Partie, die torlos endete, hatte auch versöhnlichen Charakter.
Die italienische Mannschaft überreichte eine Spende von 10 Millionen Kronen für notleidende Kinder Wiens. International wurde das Aufeinandertreffen „als Zeichen der Überwindung politischer Feindschaften durch den Sport und imposante Kundgebung für die Völkerversöhnung“ gefeiert.
Die Heimstätte der Vienna, die heuer am 19. Juni 100-jähriges Jubiläum feiert, galt lange als Kontinentaleuropas größtes Stadion. Schon zum ersten Länderspiel nach Eröffnung der Hohen Warte waren am 23. April 1922 56.000 Besucher zum 0:2 gegen Deutschland gekommen. Die Partie gegen Italien, stellte indes alles Bisherige in den Schatten.
Völkerwanderung auf die Hohe Warte
„Schon in den ersten Nachmittagsstunden begann die Völkerwanderung zur Hohen Warte. Unzählige Straßenbahnzüge schleppten buchstäblich, bis zu den Fenstern vollgestopft, den Heerbann des Fußballsports, jung und alt, arm und reich, nach den luftigen Gefilden der Döblinger Hügel. Ein Strom von Fußwanderern, und unabsehbare Kolonnen an Wagen und Autos zogen die große Radialstraße vom Stadtinneren nach der Hohen Warte hinaus“, berichtete das (Wiener) Sport-Tagblatt.
„Dabei waren die Wetterbedingungen alles andere als einladend“, erinnert sich Fußballhistoriker Alexander Juraske in seinem Buch „Blau-Gelb ist mein Herz – die Geschichte des First Vienna Football Club 1894“ an diesen Tag. „Der kalte Wind peitschte bei Temperaturen von nur 8 Grad Regenschauer über die Stadt.“
Doch das Interesse war riesig. Vier Tage vor Spielbeginn gab es keine Eintrittskarten mehr. Offiziell waren 72.000 Karten verkauft worden. Für eine Loge zahlten die Leute drei Millionen Kronen, für einen Sitzplatz 250.000 Kronen (zum Vergleich: 1 Liter Milch kostete damals rund 5.000 Kronen). Juraske: „Jeder wollte damals dabei sein und als die Kassen sperrten, warteten noch bis zu 20.000 Zuschauer vor den Eingängen. Wer keine Karte mehr bekam, versuchte in der unmittelbaren Nähe der Anlage ein Plätzchen zu finden, um wenigstens aus der Ferne dabei zu sein. Das eigentliche Fassungsvermögen war an diesem Tag längst überschritten und so drängten sich rund 85.0000 Zuschauer zusammen und fieberten dem Anstoß entgegen.“
„Hinter den überfüllten Sitzen auf der Arenaseite drängte sich Kopf an Kopf die ungeheure Menge, aber auch auf den Böschungen außerhalb des Spielplatzes hatten sich Kiebitze in einer Anzahl eingefunden, die vor zehn Jahren in Österreich nahezu einen Rekord bedeutet hätten“, schrieb das (Wiener) Sport-Tagblatt.
Letztendlich war es auch Glück, dass an diesem Tag alles halbwegs gut über die Bühne ging: Starke Regenfälle in Wien in den Tagen vor dem Spiel hatten den Stadionhang aufgeweicht. Die Zuschauermassen taten ein übriges und so kam es nach dem Spiel zu einem Erdrutsch auf der Nordrampe. Wie durch ein Wunder kam es zu keinen schweren Verletzungen unter den Besucher*innen.
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Wunderteam
Neben der Vienna beherbergte die Hohe Warte von 1921 bis 1936 das österreichische Nationalteam. In den 1930-er Jahren galt das sogenannte Wunderteam unter Verbandskapitän Hugo Meisel als das weltbeste Nationalteam. Zeitweilig fanden auch andere sportliche Veranstaltungen wie zum Beispiel Boxen, Laufen, Speedway, Landhockey, American Football und Rugby sowie kulturelle Highlights wie Giuseppe Verdis Oper Aida oder Pop-Konzerte von Bob Dylan, Rod Stewart, INXS und Ostbahn-Kurti ihr temporäres Zuhause in Döbling.
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Aufstellung AUT vs. ITA
Österreich: Ostriczek (Hertha); Regnard (Rapid), Blum (Vienna), Nitsch, Brandstetter (beide Rapid), Kurz (Amateure); Wondrak, Richter, Kuthan (alle Rapid), Swatosch (Amateure), Wesely (Rapid)
Italien: Trivellini; Calligaris, De Vecchi; Alberti, Burlando, Barbieri; Magliavacca, Balconcieri; Moscardini, Cevenini, Monti.