Otto Fischer – ein vergessener Vienna-Fußballstar aus Wien
[…] Fischer gewinnt das Spiel für Österreich. In allen drei Fällen ging Fischer auf und davon, dribbelte, unbekümmert um alle ihm versetzten Tritte, bis fast zur Torstange und legte dann den Ball so schußgerecht dem bestplacierten Kameraden vor, daß auch ein Kind die Chance nicht auslassen konnte. So schrieb das Illustrierte Sportblatt am 9. Mai 1925 über den Matchwinner Otto Fischer anlässlich des 3:1-Sieges der österreichischen Nationalmannschaft über Ungarn. Vor 45.000 BesucherInnen im Stadion Hohe Warte hatte der Vienna-Stürmer in seinem Heimstadion geglänzt und ist doch heute völlig vergessen.
Unser ehrenamtlicher Vereinshistoriker Alexander Juraske erinnert in einem aktuellen Aufsatz an diesen vergessenen Wiener Fußballstar, der zu den bekanntesten Spielern seiner Generation gehörte und genau heute vor 122 Jahren in eine jüdische Familie in Wien-Favoriten geboren wurde. Wie der zwei Jahre jüngere Matthias Sindelar, der in unmittelbarer Nachbarschaft aufwuchs, feierte Fischer seinen sportlichen Durchbruch beim heutzutage weitgehend unbekannten Favoritner Traditionsverein Hertha Wien. Anhand Fischers Werdegang zeichnet Juraske den Aufstieg des Fußballsports in Wien zum Massenphänomen nach und zeigt seine Popularisierung bis zur Etablierung des Professionalismus auf.
Blau-gelber Fußballstar
Von Hertha Favoriten wechselte Fischer 1922 nach Döbling und erlebte auf der Hohen Warte seine erfolgreichste Zeit. Mit dem First Vienna FC 1894 gewann er zwei Vizemeisterschaften und zog zweimal ins Cupfinale ein. 1923 debütierte er im österreichischen Nationalteam und bis 1928 folgten gesamt sieben Länderspieleinsätze für Österreich. Die erfolgreichste Zeit des Stürmers fiel in die Anfänge des österreichischen Professionalismus, als das Phänomen Fußball und die Meisterschaftsbegegnungen der großen Wiener Vereine Zuschauermassen anzogen und sich für die Spieler zum ersten Mal die Möglichkeit bot, vom Beruf „Fußballer“ eine Existenz bestreiten zu können.
1926 ging Fischer zum SC Hakoah. Mit den Leopoldstädtern absolvierte er die 2. USA-Tournee. Zwischenzeitlich für den SC Wacker aktiv, musste er nach der Rückkehr zur Hakoah 1929 seine Karriere aufgrund einer schweren Knieverletzung schon mit 28 Jahren beenden. In 173 Meisterschaftsspielen in der obersten Spielklasse für Hertha, Vienna, Hakoah und Wacker hatte er während einer der spannendsten Perioden der österreichischen Fußballgeschichte 52 Tore erzielt.
Botschafter der „Wiener Schule“
Fischer blieb dem Fußballsport weiter verbunden und schlug eine Trainerkarriere ein. Wie viele seiner ehemaligen Mitspieler war er als Repräsentant der „Wiener (Fußball-)Schule“ im Ausland begehrt. An all seinen Wirkungsstätten in Serbien, Böhmen und Kroatien propagierte er fortan dieses spezifische Spielsystem, dass von den Sportlern hohe fußballerische Fähigkeiten abverlangte. Neben der technischen Schulung legte Fischer auch großen Wert auf die Jugendarbeit, in der er den Schlüssel zukünftiger Erfolge erkannte. 1936 wechselte er zu Olimpija Liepāja nach Lettland, wo er seine erfolgreichste Zeit als Trainer erlebte. Mit Olimpija brach er die Dominanz der Vereine aus der lettischen Hauptstadt Riga und gewann drei lettische Meisterschaften. In Lettland war Fischer eine bekannte und geschätzte Persönlichkeit des öffentlichen Lebens: He was like a god around the town. He really was. The local people chaired him through the streets. If he ever turned up anywhere people would be cheering him and carrying him on their shoulders. There wasn’t that much going on in Liepāja but here was the football team beating everyone, erinnerte sich ein lettischer Zeitzeuge.
Verfolgung und Tod
Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion 1941 geriet auch das Baltikum schnell unter Kontrolle NS-Deutschlands. Die nationalsozialistische Verfolgung von Juden und Jüdinnen setzte ein. Auch Otto Fischer wurde verhaftet. Funktionäre seines Vereins versuchten vergeblich, bei den deutschen Besatzern zu intervenieren. Im Laufe des Juli 1941 wurde Fischer im Zuge von Massenerschießungen ermordet. Insgesamt wurden über 90.000 Juden und Jüdinnen in Lettland ermordet. Darunter befanden sich sowohl die einheimische jüdische Bevölkerung als auch jüdische Flüchtlinge, die in Lettland vor den Nazis Schutz gesucht hatten. Auch ein Großteil von Fischers in Wien lebender Familie wurde von den Nationalsozialisten ermordet. In Österreich geriet der ehemalige österreichische Nationalspieler nach seiner Ermordung 1941 zu Unrecht in Vergessenheit.
Als ältestem österreichischen Fußballverein ist die Aufarbeitung der eigenen Geschichte dem First Vienna FC 1894 ein wichtiges Anliegen. An jene jüdischen Akteure zu erinnern, die maßgeblich Anteil an der Entwicklung der Vienna hatten, ist deshalb wesentlicher Bestandteil der blau-gelben Erinnerungskultur.
Literaturempfehlung: Alexander Juraske, Otto Fischer – Eine biografische Erinnerung an einen vergessenen Fußballstar aus Wien, erschienen in den Wiener Geschichtsblättern, Heft 4, 77. Jahrgang 2022, S. 261 – 293.
Steckbrief Otto Fischer:
- Geboren: 1. Jänner 1901
- Geburtsort: Wien
- Position: Außenstürmer
- Erfolge: 2× österreichischer Vizemeister: 1923/24, 1925/26; 2× ÖFB-Cup-Finale: 1925, 1925/26; 3× lettischer Meister: 1936, 1937/38, 1938/39 (als Trainer); 7 Spiele für die österreichische Fußballnationalmannschaft: 1923–1928