Jiri Lenko – Spurwechsel
Mit Jiri zu plaudern hat einen eigenen Spirit. Schon nach wenigen Minuten merkt man, dass sein Herz für den Fußball schlägt. Er versprüht Leidenschaft und Begeisterung. Eine laute Selbstbespiegelung seiner Erfolge als Spieler ist ihm fremd. Ganz im Gegenteil. Jiri redet lieber über seine neuen Aufgaben, denn er hat die Spur gewechselt. Lenko ist nun Talentemanager und Co-Trainer der Kampfmannschaft.
Jiri Lenko ist in Südmähren geboren. Damals hieß das heutige Tschechien noch Tschechoslowakei. Mit 14 Jahren kam er nach Wien und wurde in die Jugendmannschaft von Rapid aufgenommen.
„Das war für mich die schwierigste, aber gleichzeitig die beste Entscheidung in meinem Leben. Ich war ein kleiner Junge, konnte nur wenige Brocken Deutsch und wohnte in einem Internat in Ober-St.-Veit.“
Rapid wurde seine erste Fußball-Heimat. Von 1999 bis 2004 spielte Jiri bei den Amateuren und wurde 2004 in den Kader der ersten Mannschaft aufgenommen. Ein besonderes Erlebnis für den 18-Jährigen. 2004/05 wurde Lenko mit Rapid österreichischer Meister. Wenn man ihn über seine Glücksmomente im Leben fragt, so gehören der Meistertitel in der Bundesliga mit Rapid und der lange und steinige Weg der Vienna zurück in den Profifußball zu den schönsten.
Von Wien nach Wien
Seine weiteren Stationen als Fußballer lesen sich wie ein Verzeichnis aus der Reiseliteratur: Lokomotive Mezdra in Bulgarien und DSG Union Perg im Mühlviertel gehören genauso dazu wie SKN St. Pölten, SC Wiener Neustadt, SV Grödig, SV Kapfenberg oder der 1. FC Brünn in Mähren. Auf der Landkarte finden sich viele Stecknadeln von Orten, wo Lenko gespielt hat. Nicht jedes Engagement war ein Brüller.
„Es war eine Zeit mit Ups and Downs, mit Pannenstreifen und mit Verletzungen, aber auch mit schönen Erlebnissen. In Bulgarien spielte ich in der obersten Spielklasse, im Mühlviertel in der Regionalliga Mitte und im burgenländische Ritzing in der Ostliga“, beschreibt Jiri Beispiele seines umtriebigen Wanderlebens. In Wien beim SK Rapid begann die aktive Laufbahn, beim First Vienna FC endete sie. Eine runde Sache.
Die Paradeposition von Jiri war die des linken Außenverteidigers. Sie gehört zu den laufintensivsten im modernen Fußball. Das war nicht immer so. Als Vienna 1955 österreichischer Meister in der damaligen Staatsliga wurde, hatte Karl Nickerl diese Position über. Im Wiener Jargon wurde der linke Verteidiger als „linker Pracker“ betitelt. Seine Aufgabe war das Blocken der gegnerischen Stürmer und das Wegdreschen des Balles aus der Gefahrenzone. Das hat sich gänzlich geändert.
Heute eröffnet der Außenverteidiger das Spiel von hinten und macht Druck über die Außenbahnen. Die Betriebsanleitung für den Außenverteidiger kannte Jiri auswendig. Er war hinten und vorne zu finden. Dazu hatte er eine Spezialaufgabe. Er trat alle Eckbälle, egal ob von links oder von rechts. Er war der „Mister Corner“ der Vienna.
Karriereende vor Traumkulisse
Als Jiri im Vorjahr gegen den Wiener Sportklub sein letztes Spiel bestritt, war alles gut angerichtet. Vor der Kulisse mit über 7.000 Zuschauern feierten die Blau-Gelben mit einem Unentschieden den Aufstieg in die Profiliga. Es war vollbracht und Soul Food für die Fans und die Mannschaft. 2017, nach dem Zwangsabstieg der Döblinger in die fünfte Spielklasse, begann für den Verein eine neue Schöpfungsgeschichte. Daran waren viele engagierte Personen beteiligt. Trotz der vielen Stopptafeln in der Lockdown-Zeit gelang der Durchmarsch bis in die zweite österreichische Fußball-Liga. Lenko war in dieser Zeit ein Fixstarter der Mannschaft und hat alle Meistertitel der Vienna mitbegründet. Dementsprechend feierten die Vienna-Fans nach dem Kultspiel gegen den Sportklub den Vienna-Kapitän mit Standing Ovations.
„Das war für mich ein süßes Ende nach 30 Jahren Fußball.“
Im Juni 2020 übernahm Jiri Lenko parallel als Spieler in der Kampfmannschaft auch die sportliche Leitung im Nachwuchsbereich. In diese Zeit fällt auch der WFV Gesamt- und Rekordsieg im Wiener Nachwuchs. Die Koordinaten wurden in der Saison 2022/23 auf der Hohen Warte neu ausgerichtet. Seit dieser Saison ist Jiri für die Top-Talente der Vienna zuständig und in der „Ersten“ als Co-Trainer tätig. Der ehemalige Linksfuß ist die rechte Hand von Chef-Trainer Alexander Zellhofer geworden. Eine Win-Win-Situation für den Verein. Lenko hat als langjähriger Kapitän Anerkennung und Respekt in der Kampfmannschaft. Er kennt das Auf und Ab des Spielbetriebs und weiß, dass es für Fußballspieler schattige Tränen- und sonnige Hochtäler gibt. Er ist ein ideales Bindeglied zwischen den Nachwuchsspielern und den Profis.
Spricht man mit Lenko über sein Credo als Trainer, erspart man sich ein Semester Studium über Humanismus und Ethik im Sport. Spieler zu motivieren ist ihm näher als autoritäre Haudrauf-Methoden.
Neue Mission als Coach
„Spieler können von mir Verlässlichkeit und Vertrauen erwarten. Daher sind mir Gespräche sehr wichtig, und man ist bei mir gut aufgehoben, wenn es einmal nicht so gut läuft. Ich möchte zuerst den Spieler verstehen und erst dann über ihn urteilen. Das gilt vor allem für die jungen Spieler. Ich selbst lerne auch jeden Tag dazu und versuche mein Bestes zu geben“, umschreibt Jiri seine Mission als Coach. In Verbindung mit seiner Kompetenz und seiner Neugier ist der Spurwechsel des 37-Jährigen in gute Bahnen gekommen.
Wer Großes vorhat, kann sich Zeit lassen. Dieser Ausspruch stammt nicht von Jiri, sondern von Sophokles. Er passt aber gut als Prognose für den Rookie auf der Trainerbank.
Beitrag von Herbert Winkler