23. April 2025 | Historisches zur Übersicht >
Alexander Juraske – Historiker, Zeitzeuge und Fan der Vienna
Historiker sind Geschichtsschreiber und Geschichtenerzähler zugleich. Ihr beruflicher Auftrag ist es, das Vergangene nicht ruhen zu lassen und mit wissenschaftlichem Blick in den Rückspiegel zu schauen. Alexander Juraske ist Historiker, arbeitet ehrenhalber für die Vienna und fotografiert den ältesten Fußballclub Österreichs gleichsam mit langer Belichtungszeit.
Wie kommt es, dass du dich als Historiker mit dem Spezialgebiet Sport beschäftigst?
- Ich habe mich in meinem Studium hauptsächlich dem Altertum zugewandt. Meine Diplomarbeit schrieb ich über den Film „Spartakus“, und meine Dissertation widmete ich den Historienfilmen, die über die Römische Republik gedreht wurden. Mein geschichtliches Interesse für den Fußballsport hat aber einen anderen Hintergrund.
Was war es?
- Das hängt in hohem Maße mit meinem Großvater zusammen. Karl Juraske war in den späten 1920er-Jahren der Einser-Tormann des First Vienna FC. Die Döblinger gehörten in dieser Zeit zu den besten Mannschaften in der „Wiener I.“-Liga. Mein Großvater nahm mich als Kind an den Wochenenden zu den Meisterschaftsspielen auf die Hohe Warte mit. So habe ich schon als Kind die Stimmung und die Atmosphäre eines Fußballspiels mitbekommen.
Ist das auch der Grund, weshalb du Vienna-Anhänger bist?
- Natürlich ergab sich dadurch eine besondere Affinität zur Vienna. Ich habe in der Folge alle Höhen und Tiefen des Vereins miterlebt. Das prägte mich und festigte auch meine Loyalität zum Verein. Mein Vater war ebenfalls glühender Vienna-Fan. Ich bin sicher, er hätte mich vorzeitig enterbt, wenn mein Herz für einen anderen Verein geschlagen hätte.
Dein erstes Buch über die Vienna hat den Titel „Blau-Gelb ist mein Herz“. Warum dieses Thema?
- Als Historiker und Fan der Vienna war es ein aufgelegter Elfer, einmal die Geschichte des Clubs zu recherchieren und darüber ein wissenschaftlich herzeigbares Buch zu verfassen. Es stellt die Entwicklung der Vienna sowie die gesellschaftspolitische Einbettung des Vereins von seinen Anfängen bis in die Gegenwart dar. Das Buch erschien 2017 und wurde 2019 erweitert und nochmals aufgelegt.
Dr. Juraske mit der Zweitauflage seines Buches über seinen Herzensverein
Vermutlich hat das deine Motivation befördert, noch weitere Bücher über die Vienna zu schreiben?
- Zumindest habe ich mich als Historiker in das Spezialgebiet der Geschichte des Sports verbissen. Mein zweites Buch habe ich gemeinsam mit Agnes Meisinger und Peter Menasse geschrieben. Es handelt von Hans Menasse, der Nationalspieler und Stürmer bei der Vienna war. Menasse wurde als Sohn eines jüdischen Vaters in der Nazi-Zeit aus Österreich vertrieben. Seine Biographie ist gleichermaßen dramatisch wie spannend. Das Buch erschien 2019. Im selben Jahr erschien auch das Taschenbuch „First Vienna FC – Fußballfibel“. Darin lasse ich auf 150 Seiten Fans zu Wort kommen. Das Büchlein zeichnet ein Bild der quirligen Szene auf der Hohen Warte und beschreibt den damaligen Kampf der Fans um einen Austausch mit der Vereinsführung auf Augenhöhe.
Wie werden solche Bücher mit geringer Auflage und für einen kleinen Leserkreis finanziert?
- (Lacht). Das ist wahrlich ein Unterfangen, für das man einen langen Atem braucht. Es gibt öffentliche Förderstellen, an die man Anträge zur Finanzierung stellen kann. Solche Bewilligungen dauern lange und man weiß nie, ob es funktioniert. Natürlich gibt es auch eine gewisse Unterstützung durch die Vienna, die alle meine Bücher im Fanshop verkauft. Mit dieser Art von sporthistorischen Büchern lässt sich jedoch kein großer Gewinn erzielen.
2019 kam auch ein Buch von Dir über Otto „Schloime“ Fischer heraus?
- Ja, Fischer war ein begnadeter Dribbler, österreichischer Nationalspieler und ein Star bei der Vienna. Während seiner aktiven Laufbahn war er als Jude immer wieder antisemitischen Angriffen ausgesetzt. Fischer arbeitete nach seiner Karriere als Trainer in Osteuropa und führte in Lettland den Verein Olimpija Liepāja zu drei Meistertiteln. 1941 wurde er von den Nationalsozialisten ermordet und geriet völlig in Vergessenheit. Mich hat das Leben dieses prägenden Wiener Fußballers interessiert, und daher schrieb ich über ihn eine Monografie. Ende April findet in Lettland eine Gedenkveranstaltung über ihn statt. Ich werde dort mein Buch vorstellen.
Deine letzte große Publikation ist „Blau-Gelb unterm Hakenkreuz“. Was hat Dich zu diesem Thema motiviert?
- Die Idee entstand 2011, als Rapid seine NS-Vergangenheit aufarbeiten ließ, und das Buch „Grün-Weiß unterm Hakenkreuz“ erschien. Mich interessierte das Schicksal der jüdischen Spieler und Funktionäre der Vienna, die während der NS-Zeit ausgeschlossen wurden. Ich wollte der Frage nachgehen, wie sich der Wiener Fußball nach 1938 veränderte und Vienna trotzdem große Erfolge einfuhr. Der Club gewann dreimal die sogenannte Gau-Liga bzw. Bereichsklasse, stand 1942 im Endspiel um die deutsche Fußballmeisterschaft und gewann 1943 den „Tschammer-Pokal“.
Wie kann man sich die Recherchen zu diesem Buch vorstellen?
- Insgesamt habe ich für dieses Buch drei Jahre Quellen gesichtet, Storys recherchiert, Fotos gesucht und Manuskripte verfasst. Man verbringt viele Stunden in Archiven und Bibliotheken. Man muss sich die Arbeit eines Historikers ähnlich vorstellen wie die Ausgrabungsarbeiten eines Archäologen, nur „graben“ sich Historiker durch Aktenberge in Archiven. Oft mühsam, aber auch sehr spannend.
Wann kann man von dir wieder etwas lesen?
- Ich bin freier Mitarbeiter des Fußballmagazins „Ballesterer“ und schreibe dort regelmäßig über historische Themen. Natürlich reizt mich die historische Forschung im Sportbereich auch weiterhin. Ein weiteres Forschungsgebiet von mir sind die jüdischen Sportvereine in Österreich bis 1938. Es gab einst etwa 80 davon. Mal sehen. Meine Füllfeder hat noch genug Tinte.