70 Jahre letzter Meistertitel – Die Vienna 1954/55
Der Traum von Blau-Gelb
„Wir sind Meister!“ – Der Jubel auf der Hohen Warte war grenzenlos, als sich die Vienna 1955 zum letzten Mal die Krone des österreichischen Fußballs aufsetzte.
Vor 70 Jahren, in der Saison 1954/55, feierte der First Vienna FC 1894 seinen sechsten und bisher letzten Meistertitel in der höchsten Liga. Es war eine Saison voller Höhen und Tiefen, geprägt von Teamgeist, Mut zur Jugend und einer gehörigen Portion Dramatik.
Eine Mannschaft im Umbruch
Nach dem Zweiten Weltkrieg befand sich die Vienna im Umbruch. Die großen Erfolge des Vereins waren vorerst vorbei und die Vienna war mitten in einem Generationenwechsel. Spieler wie Karl Koller, Kurt Schmied, Karl Nickerl oder Rudolf Röckl prägten ab Ende der 1940er Jahre den neuen blau-gelben Kern. Die Vienna pendelte in den Meisterschaften zunächst zwischen Mittelfeld und oberem Tabellendrittel. Erst Mitte der 1950er formte sich aus Kontinuität, Talent und taktischem Gespür ein Titelanwärter.
Die Weltmeisterschaft 1954: Ein Aufbruch
Die Fußball-WM in der Schweiz wurde zur Bühne für den Österreichischen Fußball. Mit dem Dritten Platz erzielte das Team um Ocwirk und Happel die beste Platzierung einer österreichischen Nationalelf bei einer Endrunde. Vienna-Torhüter Kurt Schmied schrieb dabei Geschichte: In der „Hitzeschlacht von Lausanne“ gegen die Schweiz hielt er – trotz Sonnenstich – im Tor durch, Österreich siegte 7:5. Mit den Erfolgen der Nationalelf stieg die Aufmerksamkeit für die heimische Liga, doch auch der Exodus der Stars begann – viele Spieler zog es ins französische Profi-Fußballglück, nicht so bei der Vienna.
Start in die Saison 1954/55
Die Vienna hatte ihr 60-jähriges Bestehen gefeiert und trotz finanzieller Belastungen durch Jubiläumsspiele den Kader zusammengehalten. Mit Trainerlegende Leopold Hofmann und einer Mischung aus Routiniers und jungen Kräften ging man mit Zuversicht in die Saison. Die Vienna setzte auf ihr klassisches 3-2-5-System, mit Kurt Schmied im Tor, einer sicheren Abwehr um Röckl und Nickerl sowie Karl Koller als Motor im Mittelfeld.
Die ersten Spiele verliefen vielversprechend: Siege gegen Bregenz, LASK und ein Unentschieden gegen Rapid sicherten die Tabellenführung. Doch die Offensivleistung blieb wechselhaft. Mittelstürmer Grohs enttäuschte, und im Angriff wurde viel experimentiert. Trotzdem holte sich die Vienna den Herbstmeistertitel – mit nur einer Niederlage und der besten Defensive der Liga.
Frühjahr: Rückschläge und Hoffnung
Die Vienna startete mit Siegen ins Frühjahr, wurde aber schnell auf den Boden der Realität geholt: Eine Niederlage in Simmering und mühsame Partien ließen Zweifel aufkommen. Trainer Hofmann sah sich zu Umstellungen gezwungen. Der Sturm blieb das Sorgenkind – bis ein 16-jähriges Talent den Weg in die erste Mannschaft fand: Hans Buzek.
Hans Buzek: Der Goldschmied des Tores
Am 7. Mai 1955 debütierte Buzek gegen Kapfenberg und traf prompt. Der junge Mittelstürmer brachte die ersehnte Frische in den Angriff, erinnerte mit seiner Zielstrebigkeit an englische Vorbilder und avancierte binnen weniger Spiele zum Hoffnungsträger. Auch der Rückkehr von Koller nach Blinddarm-OP verlieh der Mannschaft neuen Schwung.
Der dramatische Titelkampf
Nach einer bitteren 1:4-Niederlage gegen den direkten Rivalen Wiener Sport-Club am Tag der Staatsvertragsunterzeichnung wankte die Vienna. Doch das Team bewies Charakter: Gegen Rapid folgte ein begeisternder 5:0-Sieg, und in den verbleibenden Runden holte man die nötigen Punkte. Die Entscheidung fiel in der allerletzten Runde: Die Vienna verlor gegen die Austria 1:3 und war auf das Ergebnis des WSC angewiesen. Nach bangen Minuten kam die erlösende Nachricht: Der Sport-Club spielte nur 1:1 in Graz – die Vienna war Meister!
Der sechste Meistertitel
39 Punkte aus 26 Spielen, eine um drei Tore bessere Tordifferenz als der punktgleiche WSC – die Vienna hatte den Titel knapp, aber verdient errungen. Otto Walzhofer war mit 19 Treffern bester Torschütze, Buzek steuerte in nur sieben Spielen acht Tore bei. Der Titel war das Resultat aus einer überragenden Defensive, dem Mut zur Jugend und – ja – auch dem Quäntchen Glück, das große Meister brauchen.
Die Lehren eines historischen Erfolgs
Die Vienna bewies in dieser Saison, dass Titel nicht nur mit Stars, sondern mit Teamgeist, kluger Kaderführung und der Förderung des Nachwuchses gewonnen werden. Die Saison 1954/55 bleibt ein Glanzpunkt in der Vereinsgeschichte – ein Moment, an dem die Vienna die Fußballstadt Wien noch einmal mit Blau-Gelb dominierte. Heute, 70 Jahre später, erinnern wir uns mit Stolz und Sehnsucht an jenen Sommer, als die Vienna das letzte Mal den Meisterteller holte.